06. März 2023

„Mit jedem Menschen, der in unser Leben kommt oder wieder geht, lernen wir etwas Neues dazu“

„Ich bin ein Hamburger Kind“, beschreibt sich unser neues Mitglied an Bord, Ingfried Köhler. Ein paar Jahre hat er in Bremen verbracht, kehrte dann aber schnell wieder zurück in seine Heimat- und Geburtsstadt an der Elbe. Sein Lebensweg war bunt, aber es scheint, als hätte er eigentlich schon immer gewusst, dass er genau hierher, ins Hospiz am Israelitischen Krankenhaus, wolle: Als Zivildienstleistender kam er „von der Küche in die Pflege“.

Der Schwangerschaftsvertretung als Nachtwache im Anschluss an den Zivildienst im Pflegeheim folgte eine neun Jahre bestehende Anstellung in der ambulanten Pflege mit berufsbegleitender Ausbildung zum staatlich anerkannten Altenpfleger. Insgesamt 31 Jahre war Ingfried Köhler in der ambulanten Pflege tätig: Nach neun Jahren probierte er zwar einmal für eineinhalb Jahre die stationäre Arbeit aus, der nächsten Etappe – wieder in der ambulanten Arbeit in Hamburg-Eppendorf – blieb er ganze 22 Jahre treu und erwarb dort 2001 bereits die Zusatzqualifikation „Palliative-Care“ für die Palliative Arbeit in der Pflege. Dass da „etwas Besonderes“ in diesem Bereich erlebbar und zu leisten war, merkte Ingfried Köhler gleich.

Während seiner Zeit in der ambulanten Pflege begegnet er vielen Menschen – jeden einzelnen erinnert er als Bereicherung, auch auf seinem eigenen Lebensweg.
Nur die bürokratischen Hürden für die Zeit, die es braucht, sich gerade auf die Menschen einzulassen, denen nicht mehr viel Zeit auf dieser Welt bleibt – diese Hürden machen ihm zu schaffen. „Wir hatten eine Wegezeit von sechs Minuten, mussten uns mit dem Smartphone ein- und ausloggen. Zwar ist das gesetzlich so vorgeschrieben, aber der Zeitdruck sitzt einem dadurch gefühlt immer im Nacken“, erzählt er.

„Spätestens jetzt war mir klar: Es ist noch einmal Zeit für etwas Neues, damit ich mir selbst treu bleiben kann“. Klar ist für ihn auch, dass er nicht mehr „Einzelkämpfer“ bleiben möchte. „All die Jahre bin ich alleine zu meinen Arbeitsplätzen – den Wohnungen der Menschen – gefahren, nun freue ich mich jeden Tag auf die Begegnung im Hospiz mit meinen Kolleginnen und Kollegen!“

Am Hospiz am Israelitischen Krankenhaus möchte er gerne bis zur Rente bleiben. „Das wäre schön“, schmunzelt der 55-jährige.

Was er an der Arbeit schätze?

„Man kann super viel mit den Augen und den Ohren lernen. Es ist ähnlich wie bei Kindern, die ihren Sinnen noch trauen: Sie nehmen manchmal viel mehr wahr als die Erwachsenen. Kinder spüren intuitiv, dass ‚da was ist’.“ So erlebte der Vater zweier Töchter und dreifache Großvater es auch, als er sich in den letzten sechs Jahren in der eigenen Familie von nahestehenden Menschen verabschieden und die anderen zurückgebliebenen Angehörigen begleiten musste. „Ich wünsche mir, dass der Tod viel mehr ins Leben genommen wird“, sagt er, als er von seinem dritten Enkelkind erzählt, das von der Welt ging, bevor es geboren wurde.

Auch, den Sarg vom eigenen Vater knallbunt anzumalen, das fanden manche vielleicht mutig. Für ihn war es wie selbstverständlich – oder geradezu notwendig. „Manchmal kommt das Leben, das Schicksal zack um die Ecke. Aber auch und gerade eine Krisensituation lehrt einen mehr über sich selber und die Menschen, die wir begleiten. Wenn man sich einer Herausforderung stellt, tut man sich selbst Gutes, sich aktiv damit auseinander zu setzen. Sich dem Wert des Lebens gewahr zu werden, dabei sitzen wir doch alle im selben Boot“, fügt er hinzu.

Wichtig findet Ingfried Köhler Orte, zu denen wir gehen und Trauer auch zulassen und bewusst spüren können. „So, wie es früher in den ländlichen Regionen war: Die Menschen hatten Zeit, sich von ihren Liebsten zu verabschieden.“ Auch aus diesem Grund fühlt er sich im Hospiz am richtigen Platz. Hier wird sich die Zeit genommen, die es eben braucht.

Was macht das Erlebte in Verbindung mit dem beruflich Erfahrenen mit einem?

„Man genießt den Moment etwas mehr. Einfach durch den Regen laufen, die Sonne wahrnehmen – diese schönen Dinge erleben und leben zu können, das ist ein besonderes Gefühl“, antwortet er spontan.

Ventile und Möglichkeiten zur Verarbeitung findet Ingfried Köhler in der Natur. Bei Wind und Wetter ist er mit dem Fahrrad unterwegs: „Beim Radfahren können die Gedanken gut runterkommen und man kommt zuhause psychisch gereinigt an“, lacht er. Auch in seinem Schrebergarten ist er gerne: „Dort kann man selbst gut Gestalter sein: vom Vergehen und vom Werden.“

Seit langer Zeit spielt er mit einem guten Freund hin und wieder Schach. Die beiden haben allerdings eine altersbedingte eherne Regel: „Nach 0:00 Uhr fangen wir lieber kein Spiel mehr an!“ Manchmal sitzen sie auch zwei Stunden zusammen und klönen über Dies und Das, Kinder und Enkelkinder, kurzum die eigenen Nachfahren, bevor sie den ersten Zug machen.

Was erhoffe er sich von der neuen Herausforderung?

„Ich glaube, dass wir mit jeder Begegnung etwas mehr dazu lernen. Ich wünsche mir, noch ganz viel zu lernen und bin sehr gespannt auf alles.“

Lieber Ingfried Köhler, wir begrüßen Sie herzlich im Team und freuen uns, dass Sie da sind!

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